Wie relevant ist der Rassismus in der Sprache?

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Als Kind habe ich noch die abschätzigen kolonialistischen Untertöne gehört, mit denen manche der Worte, die nicht-europäische Menschen bezeichneten, gebraucht wurden. – Aber daß jetzt immer mehr Worte diskriminierend sein sollen außer „people of color“, leuchtet mir nicht ein. Das wirkt auf mich konstruiert wie eine Anstandsregel. – Ich sage: Es wirkt auf mich so. Das muß ja nichts heißen, vielleicht habe ich irgendwas nicht mitgekriegt.

Nettigkeit und Respekt sind etwas anderes als Anstand. Sie ergeben sich bei kooperativen, solidarischen und wertschätzenden Menschen von selbst, aus der Logik der Beziehung zwischen Menschen. Deshalb fällt es mir schwer, nachzuvollziehen, warum so ein Wert auf die Form gelegt wird. Ich würde mir wünschen, daß es maßgeblich ist, wie sich Menschen  verhalten, nicht, wie sie reden.

 

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Ich halte die Einstellung, daß Menschen kein bisschen falsche Einstellung haben dürfen, für unrealistisch und intolerant. Schlimm sind falsche Einstellungen doch nur, wenn sie mit Unkorrigierbarkeit einhergehen. Worauf es ankommt sind doch die Bereitschaften, zuzuhören, sich zu hinterfragen und sich solidarisch zu verhalten, nicht der aktuelle Stand aller eigenen Einstellungen zu allen möglichen Aspekten der menschlichen Angelegenheiten.

Und die Einschätzung, daß der Rassismus in den Köpfen noch ganz schlimm sei, halte ich für eine Illusion der Desillusioniertheit. – Pessimismus hat immer recht: Wer die Angemessenheit einer Sicherheitsvorkehrung anzweifelt, gilt als leichtsinnig. Wer eine pessimistische Einschätzung anzweifelt, gilt als Träumer. „Zirkelschluß“ nennt die Logik das Phänomen: „Wer sich wirklich ernsthaft sorgt, schätzt die Sache so ein, wie ich. Wer an meiner Einschätzung zweifelt, sorgt sich nicht ernsthaft genug oder ist naiv und macht sich Illusionen!“ Daraus erwächst dann der Schluß: „Realistisch ist, die Sache so einzuschätzen, wie ich. Daraus folgt: Wer an meiner Einschätzung zweifelt, ist unrealistisch!“

Ist es wirklich so unrealistisch, davon auszugehen, daß der Restrassismus der meisten Menschen in Deutschland weitgehend unproblematisch ist, weil er verschwinden würde, sobald die Menschen verschiedener Hautfarbe mehr miteinander zu tun hätten? – Genau genommen müßten wir hier empirische Befunde diskutieren, über das Ausmaß der Bereitschaft in der Bevölkerung, Reste rassistischer Vorstellungen oder gar rassistischen Verhaltens zu hinterfragen und zu verändern. Aber soweit ich sehe, gibt es solche Befunde nicht.

Meist erwächst Diskriminierung aus kollektiven Gegebenheiten, nicht aus der Willkür einzelner Menschen. Wieviele Eltern würden ihren Mädchen etwas anderes anbieten, als traditionelle Mädchenklischees, wenn sie nur genügend Austausch mit Eltern hätten, die weniger beschränkte Vorstellungen haben! – Und daß es zuwenig Schauspielrollen für „people of color“ gibt – liegt das an einzelnen Menschen? Vielleicht würde eine Produzentin sagen: „Finde ich ja auch blöde, aber wir trauen uns nicht, mutig zu sein, sonst sind wir auf dem Aufmerksamkeitsmarkt ganz schnell weg vom Fenster! – Und ich habe Verantwortung für die Firma!“

Daß es schlimm ist, wie Mädchen immer noch um ihr Leben betrogen werden durch frühe Ausrichtung auf beschränkte, konventionelle Vorstellungen von Mädchenhaftigkeit, und daß Menschen anderer Hautfarbe immer noch benachteiligt werden in vielen Lebensbereichen: daß das schlimm ist, und daß die Bewegung dagegen zu den vordringlichsten und wichtigsten Aufgaben unserer Zeit gehört – das ist doch gar keine Frage!

Aber es ist eine uralte Weisheit, daß die Einzelnen reifer und klüger sind als das Kollektiv. Und wer das verkennt und, statt bestehende Bereitschaften zu nutzen, sich abmüht, offene Türen einzurennen, vertut Zeit und Energie. – Zudem: Soviel auch noch zu tun bleibt, es ist doch schon viel im Gange gegen Diskriminierung und Rassismus! Ob der Prozeß der Zivilisation wirklich durch Sprachregelungen beschleunigt werden kann, halte ich für zweifelhaft.

Jedenfalls halte ich es nicht für konstruktiv, mühsam die letzten Überbleibsel von Rassismus bei andern herauszupopeln. Und ich bezweifle ernsthaft, ob das wirklich im Sinne der Diskriminierten ist.

Was spricht dagegen, sich mit sprachlichen Irritationen nicht aufzuhalten, sondern alle Energie und Aufmerksamkeit auf die Veränderung der Fakten zu richten?

 

(Weiterlesen: Über Genderneutrale Sprache (Link auf meine Internetseite zu Goethes Faust).